Rassismus ist ein Problem, aber nicht automatisch dein Schicksal
Dies wird ein schwieriger Text. Und ich rolle mal den Würfel, damit ich weiß, wo ich überhaupt beginnen soll. Ein Auge – ich beginne also am Anfang. Okay, das war zumindest leicht …
Es dürfte 1991 gewesen sein; Grundschule, dritte Klasse. Die Klassenlehrerin, Frau T., macht mit uns einen Ausflug. Ich mochte das. Um das kleine Dorf am Fuße der schwäbischen Alb herum, wo ich hauptsächlich aufgewachsen bin, gibt es wunderschöne Wälder, Wiesen, Auen – alles, was das Landherz begehrt. Nun hatte mir mein lieber Vater am Vortag neue Schuhe gekauft. Weißes Lackleder, mit schönen lila- und pinkfarbenen Kristallen zur Zierde. Und ich tat, was jedes Kind (und auch der ein oder andere Erwachsene) kaum abwarten kann: sofort anziehen! Ich latschte also mit nagelneuen Lacklederschuhen zur Wanderung und es kam, wie es kommen musste: Meine Füße bluteten schon nach kurzem Wanderweg. Ich konnte irgendwann nicht mehr laufen und der Lehrerin fiel das dann auch auf. Was dann folgte, war an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Ich schäme mich noch heute, wenn ich daran zurückdenke. Sie hielt, während ich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf einem größeren Stein saß, einen Vortrag darüber, dass mir armen Ausländerin wohl ordentliche Schuhe fehlten, die sich meine armen Ausländereltern wahrscheinlich nicht leisten konnten (wohlgemerkt war das nicht unser erster Ausflug und ich war materiell stets sehr gut versorgt – dafür arbeitete mein Vater hart, immer in der Nachtschicht). Sie stampfte dann einfach so eine Spendenaktion aus dem Boden, indem sie alle meine Mitschüler aufforderte, für mich Schuhe zu spenden. Und genau so kam es.
In den folgenden Tagen kamen säckeweise alte (und teilweise neuere) Schuhe zusammen, die ich zumeist nicht mal mit der Kneifzange angefasst hätte. Ich wehrte mich lauthals gegen diese Aktion, wiederholte im Klassenzimmer immer wieder, dass ich das nicht brauche und auch nicht will. Ich nahm die Spenden nicht an. Leider verfolgte mich das bis nach Hause. Plötzlich stand die Lehrerin vor der Tür (und ich meine, ein paar meiner Mitschüler waren auch dabei) und übergab meinen verdutzten Eltern die edle Spende, gefolgt von peinlichen Worten, dass man ja wisse, wie schwer man es als Ausländer hätte. Mein Vater schämte sich, ich schämte mich. Alle, abzüglich der Lehrerin, schämten sich. Die Schuhe landeten alle im Müll und ich musste meinen Vater erstmal davon überzeugen, dass ich das Unterfangen nie unterstützt hatte.
Nicht einmal ein Jahr später verhinderte dieselbe Lehrerin, dass ich aufs Gymnasium oder wenigstens in die Realschule kam. Meine Noten hätten dafür ausgereicht. Sie sagte aber, dass ich als Ausländerin ohnehin irgendwann wieder in der Hauptschule landen würde. Also sollte ich lieber gleich hierbleiben, auf der Grund- und Hauptschule des Dorfes. Und meine Lehrerin in der 6. Klasse der Hauptschule – Frau H. – lachte mich auf ihre Frage nach unseren Berufswünschen vor allen Mitschülern aus, als ich ihr sagte, dass ich irgendwann Ärztin werden wolle. Sie sagte sinngemäß: „Du meinst wohl eher Krankenschwester. Als Ärztin müsstest du Abitur machen und dann auch noch studieren!“ Das wiederholte sie mehrfach, fast schon wiehernd vor Lachen.
Warum ich das aufschreibe? Ich kenne Rassismus (und das scheint heute superwichtig zu sein, um in die Debatte einsteigen zu können). Ich weiß noch, wie es ist, von Republikanern während eines Vater-Tochter-Spazierganges mit Glasflaschen beworfen zu werden, gefolgt von dem Spruch, wir sollten doch wieder in unsere Heimat zurückgehen. Und ich spüre noch heute die Folgen der beschriebenen schulischen Gängelungen, denn die haben natürlich dafür gesorgt, dass später alles umso härter erkämpft werden musste. Wer einmal versucht hat, nach Hauptschule und Werkrealschule in die Oberstufe des Gymnasiums einzusteigen, weiß, was ich meine. Ich weiß nicht, wieviel Zeit ich in Bibliotheken verplempert habe, um nachzuholen, was andere auf der Realschule oder dem Gymnasium bis dahin über mehrere Jahre verteilt mithilfe von Lehrern einsaugen konnten. Ich wählte Mathematik als Leistungskurs und hatte bis zur 11. noch nicht einmal von binomischen Formeln gehört.
Der heutige Antirassismus ist einseitig
Ich kenne Rassismus. Aber eben nicht nur den gegen mich. Ich kenne genauso gut den der Albaner (und anderen Angehörigen ex-jugoslawischer Nationen) gegen Roma, Juden und Schwarze. Das ist sogar einer, mit dem ich ganz selbstverständlich großgeworden bin. So selbstverständlich, dass ich als Kind unter größeren Anstrengungen verstehen musste, dass da etwas nicht stimmt. Ähnliches habe ich mein Lebtag bei den befreundeten türkischen Familien mitbekommen. Und wehe, wenn jemand auf die Idee kam, sich einen Nicht-Albaner (Nicht-Türken, Nicht-Italiener etc.) zu angeln – dann war die Hölle los. Ach, und wer denkt, dass „Kraut“ und „Kartoffel“ nicht das gleiche Lied in Grün ist, der misst mit zweierlei Maß. Ich war leider zu oft dabei, wie sich Männer aus unterschiedlichen süd- oder südosteuropäischen Ländern über ihre deutschen Bräute lustig gemacht haben: „Die dumme Kartoffel, die ich fallen lasse, sobald ich meine Papiere habe. Bis dahin ein paar Mal „Schatzi“ sagen und sie frisst mir aus der Hand. Dann hole ich mir ‘ne richtige (ehrenhafte) Braut.“ Ich habe diese Damen nicht selten gewarnt, auch wenn mir das Ärger einbrachte.
Ich kenne Rassismus. Aber eben von ALLEN Seiten. Genährt mit diesen und weiteren Erfahrungen betrachte ich also die heutigen Anti-Rassismus-Proteste. Und ich finde sie, um es mit einfachen Worten zu sagen, schlicht einseitig und unfair. Die Zeitungen titeln u. a. „Europas Afroamerikaner“, natürlich vorne mit dabei eine verschleierte Frau. Da wird auf Demos die (selbstverständlich furchtbare) Tötung G. Floyds mit der Situation der Juden während Nazi-Deutschlands Zeiten verglichen. Da wird gesagt, dass Weiße keinen Rassismus kennen. Dann siegen Emotionen über jede Vernunft, und Fakten werden unterschlagen, bspw. dass in den USA wohl mehr Weiße durch Erschießung von Polizistenhand (prozentual und in totalen Zahlen) umkommen als Schwarze.1-3 Oder dass die rund 13 % afroamerikanische Bevölkerung für rund 36 % aller Morde verantwortlich ist (andere schwere Verbrechen noch nicht einberechnet). Und dass die meisten Schwarzen durch andere Schwarze umkommen, und eben nicht durch Weiße.4 Wenn man nicht auf diese Fakten schaut und ungeprüft dem gängigen Bild des systemischen Rassismus blinden Glauben schenkt, dann ist es nur verständlich, dass das wütend macht und die Städte brennen. Dabei sind die Statistiken eindeutig und selbst bei einer Dunkelziffer nicht anders interpretierbar. Und mit Blick auf Deutschland, wo tausende Demonstranten bspw. in Berlin auf die Straße gehen, verläuft die Diskussion ebenso scheinheilig. Oder wird etwa die Problematik behandelt, dass es in Berlin, Köln und weiteren Orten Schulen gibt, in denen vorwiegend muslimische Schüler den Ton angeben und ihre deutschen Mitschüler auf mannigfache Weise schikanieren und diskriminieren, weil sie Deutsche sind?
Ich finde diese einseitige Protestwelle unproduktiv. Wenn wir über Rassismus sprechen, dann sollten auch alle Seiten beleuchtet werden. Anders kommt man nicht zum eigentlichen Kern des Problems. Allein die immer noch aktuelle Haltung von Sklaven aus Schwarzafrika und Bangladesch in der arabisch-islamischen Welt5, aber eben auch die alltäglichen Verhaltensweisen gegen bspw. Deutsche oder Roma, die ich hier beschrieben habe, zeigen sehr deutlich: Rassismus gibt es auf allen Seiten. Weißen den Mund zu verbieten und so zu tun, als könnte es keinen antiweißen Rassismus geben, da Rassismus an sich eine weiße Institution sei, ist unehrlich und feige. Und es hilft auch überhaupt nicht.
Wider die Opferhaltung
Darüber hinaus stört mich auch die Opferhaltung, die gezüchtet, gehütet und vor sich hergetragen wird. Es scheint, als wäre es eine willkommene Ausrede, alles auf Rassismus zurückzuführen, wenn man an irgendetwas scheitert. Ja, Rassismus, in welcher Form auch immer, kann ein Problem sein – aber es ist nicht zwangsläufig dein Schicksal.
Mich hat er nicht davon abgehalten, trotz der großen Hindernisse Abitur zu machen, eine Uni von innen zu sehen, Journalistin zu werden und dann in die Beratung umzusteigen, wo ich jetzt – als einer der wenigen Menschen mit Migrationshintergrund in dem Unternehmen – in 5 Jahren drei Mal befördert wurde. Wollten mich meine damaligen Lehrerinnen am Erfolg hindern? Nach ihrem Verhalten zu urteilen – ja! Haben sie es geschafft? Nein! Warum? Das liegt schon allein daran, dass es kein System gibt, das ihnen rechtlichen Boden für ihre Vorhaben bieten konnte. Es gab und gibt keine Gesetze, die sie dabei unterstützt hätten, mich bildungs- und karriereseitig unter die Räder zu bringen. Das habe ich genutzt und mich nicht aufhalten lassen. Und ich kenne wirklich viele Männer und Frauen in meinem Freundes-, Bekannten- und Familienkreis, die es in Deutschland, den USA oder in Australien weit gebracht haben. Es wäre tatsächlich bequemer gewesen, mich darauf auszuruhen, dass die böse Lehrerin mich so hart ausgebremst hat, die Flinte ins Korn zu werfen und dann das süße Mitleid zu ernten, das mir – vor allem in der heutigen Zeit – sachte auf die Schulter geklopft und mich über alles hinweggetragen hätte.
Institutioneller Rassismus
Die Sache ist aber die: In Ländern wie Deutschland, anderen europäischen Ländern oder auch den USA können dich rassistische Handlungen einzelner Personen (und nichts anderes ist so etwas, denn gesetzlich, „systemisch“, gibt es dafür keine Grundlage) nicht dauerhaft ausbremsen. Derartiges ginge in Diktaturen und Monarchien wie Saudi-Arabien, Nordkorea usw. Aber eben nicht hier, in der westlichen Welt. Die Gesetze sind oftmals nicht einmal mehr egalitär, sondern tendieren in einigen Ländern dazu, PoC (People of Color) und andere Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zu begünstigen: So gibt es in den vergangenen Jahren immer mehr Bundesstaaten und Universitäten in den USA, die die Zugangsbeschränkungen zum Studium speziell im Namen der Diversität für bspw. Schwarze aufweichen, gleichzeitig für Ostasiaten verschärfen.
Es existiert sogar ein offizielles Regierungspapier, das sich nur damit beschäftigt, wie man mehr Diversität in den Universitäten erreichen kann und warum das wünschenswert wäre. Einzelne Unternehmen springen auf diesen Zug mit auf. 6-10 Auch einige deutsche Unternehmen und sogar öffentliche Stellen sowie ganze Gremien haben sich des Themas unter dem Titel „Chancengleichheit“ angenommen und bevorzugen bereits tlw. Menschen mit Migrationshintergrund oder haben das Thema zumindest auf den Tisch gepackt. So gibt es kommunale Stellenausschreibungen, in denen steht, man bevorzuge bei gleicher Qualifikation Menschen mit Zuwanderungsgeschichte.11-14
Stellen wir uns das mal umgekehrt vor – wie groß wäre der Skandal, stünde dort: „bevorzugen bei gleicher Qualifikation Menschen ohne Migrationshintergrund“? Tatsächlich ist es sogar so, dass §5 AGG eine positive Diskriminierung zulässt.15 Das bedeutet, dass zwar laut §1 des AGG Folgendes gilt: „Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“16 Der fünfte Paragraf hebelt den aber wieder aus, um bestimmte Gruppen fördern zu dürfen, bspw. Gehandicapte, Frauen (vielen Dank dafür!) und eben neuerdings Menschen mit Migrationshintergrund (nochmal danke!). Ich habe aber noch keine Demo gesehen, die sich dagegen richtete, dass Menschen mit Zuwanderungsgeschichte gesetzlich zu bevorzugen seien. Stattdessen gibt es Proteste, Berichte und Beschwerden, dass PoC und andere Gruppen mit Migrationsgeschichte in bestimmten Jobs, Gruppen oder Gremien unterrepräsentiert seien. Dabei gibt es eine simple Erklärung dafür, die weit weniger mit institutionellem Rassismus zu tun hat, als vermutet: von uns gibt es einfach insgesamt weniger in Deutschland. Also ist die Wahrscheinlichkeit auch kleiner, dass wir überhaupt irgendwo mal überrepräsentiert sind. Außer in bestimmten Schulen, die dann direkt zum Brennpunkt werden.
Zielvorstellung
Was ich mir wünsche? Eine ehrlichere Debatte. Rassismus ist nichts, was Weiße für sich allein gepachtet haben. Rassismus gibt es im großen Stil in so ziemlich allen Ethnien. Wahrscheinlich ist nicht mal das Glücksreich Bhutan davor gefeit und sogar ein hochentwickeltes wie Japan hat mit Rassismus zu kämpfen (Stichwort: Buraku).17 Und wie immer gilt: Wenn man sich ein Problem nicht ehrlich anschaut, dann wird das auch nichts mit der Lösung. Was man aber direkt machen kann, ist:
1. sich in einem freien Land nicht ewig in der Opferrolle zu suhlen, egal wie bequem und gratismutig das ist und
2. auch vor der eigenen Haustüre zu kehren. Da hätten wir allesamt – ob Albaner, Türken, Araber, Deutsche oder wer auch immer – schon mal genug zu tun und sicherlich viel mehr davon.
Es gibt Rassismus. Der ist in der westlichen Welt allgemein und in Deutschland speziell allerdings privat. Denn das System selbst mit all seinen Gesetzen und Regularien gibt uns Menschen mit Migrationshintergrund teilweise sogar mehr Vorteile als der autochthonen Bevölkerung. Mehr kann man als Basis nun wirklich nicht verlangen. Der Rest liegt an uns.
Referenzen:
5 https://www.youtube.com/watch?v=PJ_O4th2PNc
7 https://www.theglobeandmail.com/opinion/article-discrimination-in-the-name-of-campus-diversity-is-not-acceptable/?fbclid=IwAR21XGosHI-qBwmQpjeyCvHNf7U2GtkNNpeJrOvCFPsP-gGVSanltYIFn3o
https://infoproc.blogspot.com/2020/05/university-of-california-to-end-use-of.html?m=1&fbclid=IwAR1ICOwsf7EhDs6I2csuiDAMnSeBqH6TGRQSUhSCTSUMYPd7pCin0tL8_ek
9 https://www2.ed.gov/rschstat/research/pubs/advancing-diversity-inclusion.pdf
11 https://www.saechsische.de/wirbel-um-stellenausschreibung-3882964.html
13 https://rp-online.de/nrw/staedte/moenchengladbach/zuwanderer-bevorzugen_aid-10941189
14 http://library.fes.de/pdf-files/fes/15788.pdf
15 https://www.gesetze-im-internet.de/agg/__5.html
16 https://www.gesetze-im-internet.de/agg/__1.html
17 https://de.wikipedia.org/wiki/Buraku
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