Seenotrettung? Ja, bitte!

Aber mit Weitsicht und nicht zur Befriedigung eines moralischen Überhöhungswillens!

Der Fall der Sea-Watch 3 unter Kapitänin Carola Rackete hat der Diskussion neues Feuer gegeben. Während vereinzelt am rechten Rand gefordert wird, die Migranten zur Abschreckung „ersaufen“ zu lassen, ist der überwiegende Konsens in Medien und der deutschen Politik die Seenotrettung und anschließende Überfahrt nach Europa – lagebedingt primär Italien.
Überwiegender Konsens, weil es ja doch einzelne Stimmen gibt, welche die Verbringung der Geretteten ans Ziel der Schleppung kritisch sehen, vor allem natürlich aus der AfD, jedoch auch z.B. Christian Lindner, der sich in einem Interview mit der Funke Mediengruppe für eine menschenwürdige Unterbringung in Nordafrika, und damit einem sicheren Hafen für Seenotrettungen, ausgesprochen hat. Sonst ist mir diese Forderung nur im Europa-Positionspapier der Partei der Humanisten aufgefallen.
Die aktuell national geprägte italienische Regierung lehnt die Aufnahme von Rettungsbooten (über das absolut notwendige Maß hinaus) jedoch ab. Es entsteht ein rechtliches Patt.[1], über das der Legal Tribune Online einen balancierten Artikel verfasst hat.

In diesem Artikel soll es jedoch nicht um die rechtliche, sondern die moralische Komponente gehen. Bei der Frage „Retten oder nicht?“ gibt es nur eine Antwort, die nach humanistischer Auffassung die richtige sein kann: natürlich muss ein bedrohtes Leben gerettet werden – und dabei ist es auch unerheblich, ob diese Notlage fahrlässig oder sogar absichtlich herbeigeführt wurde. Die Geister scheiden sich am „Was dann?“, bzw. eher dem „Wohin dann mit den Leuten?“.

Und dies ist der Punkt, an dem ich die vom Konsens abweichende Position vertreten möchte: die Geretteten müssen zurück nach Afrika gebracht werden. Warum?

Australien!

Die Basis meiner Entscheidung, diese Position einzunehmen, ist die Diskussion unter dem Facebookbeitrag von Gott und die Welt, der sich mit der Frage beschäftigte, ob Carola Rackete als moralisches Vorbild dienen kann.
Dort trafen unser regelmäßiger Kommentator, der den Facebook-Namen Maxim Il-Ian trägt, und ein weiteren Kommentator, Andreas Kyriacou, aufeinander.
Ich werde versuchen, die Diskussion zusammenzufassen und zu rekapitulieren, um deutlich zu machen, wieso ich den Standpunkt vertrete, den ich vertrete.

Andreas eröffnete die Diskussion mit einem Widerspruch gegen den im Beitrag aufgeworfen Aspekt des so genannten Pull-Faktors, d.h. des Anreizes für weitere Migration auf dem gleichen Weg, durch die SAR-Missionen (safe and rescue) mit dem folgenden Landungsziel Europa, und verwies dabei auf einen Blogbeitrag zweier Wissenschaftler auf der Seite der britischen Oxford University, nach dem sich keine Korrelation zwischen Zahl der Rettungsschiffe im Mittelmeer und den Migrationszahlen finden ließe. [2]

Durch Maxim wurde daraufhin angemerkt, dass es über den ganzen Verlauf der Studie keine Zeitperiode gegeben habe, in der es keine SAR-Missionen gegeben hat, bzw. im Verlauf derer die Geretteten nach Afrika gebracht wurden.
Insoweit eigne sich die Studie nicht dazu, die Forderung der Seebrückengegner, die Geretteten nach der Seenotrettung nach Afrika zurückzubringen, zu entkräften. Um zu bewerten, inwieweit diese Strategie erfolgreich sei, müsse man auf eine vergleichbare Situation schauen – er nannte dabei Australien.

Australien machte eine einigermaßen vergleichbare Entwicklung im Bezug auf „Boat People“, wie sie dort bezeichnet werden, durch.
Wachsende Migration Richtung Australien via Boot führte zu Todesfällen auf See. Deshalb gab es Rettungsaktionen. Die Geretteten wurden nach Australien gebracht. Zeitlich darauf folgend stieg die Zahl der Migration weiter, und mit ihr die Todesfälle auf See.
Daraufhin wurde durch Australien eine alternative Strategie verfolgt – zwar beließen sie ihre SAR-Boote im Meer, diese fungierten aber effektiv als Seeriegel: die havarierten Boote wurden gerettet, aber die Leute nicht nach Australien, sondern zu ausgelagerten Zentren (Lorengau, Nauru) gebracht und ihre Asylgesuche dort bearbeitet. Dies führte zu einem signifikanten Absinken der Todesfälle im Meer.

Dazu stellte Maxim im Verlauf der Diskussion dieses dieses Bild[3] zur Verfügung:

Bezogen auf Europa argumentierte er, dass insbesondere die NGOs mit zunehmender Nähe zu libyschen Gewässern retteten, was zum einen den Schleppern die Arbeit erleichtere (geringerer Mitteleinsatz), zum anderen den Erfolg der Schleusung wahrscheinlicher macht und damit „Werbung“ für ihr Business darstellt.[4]

Aus meiner Sicht ist es schon logisch, dass eine höhere Wahrscheinlichkeit gerettet zu werden und nach der Rettung auch sein Ziel zu erreichen, einen Reiseantritt ermutigt, aber vielen reicht dies noch nicht. Schauen wir also weiter.
Aufschlussreich ist die folgende Infografik[5] vom Mediendienst Integration auf Basis der Zahlen von Frontex:

Man wird bei dieser Quelle nur schwerlich von einer rechtslastigen, möglicherweise im eigenen Sinne verfälschten Statistik sprechen können. Besonders vorteilhaft ist hier, dass parallel zu den Daten noch die Zeiträume der (zunehmenden) SAR-Missionen verzeichnet sind. Darüber hinaus sollte man sich vor Augen führen, dass nicht jede Mission nur ein Schiff stellt, sondern ggf. auch mehrere (besonders natürlich die staatlichen Missionen).

Deutlich wird, dass parallel zur Anzahl der SAR Missionen sowohl die Spitzenwerte der Ankünfte insgesamt (2014: 26.125, 2015: 23.205 (hier war parallel die Balkanroute „offen“, weswegen eine Verschiebung der Reiserouten stattfand.), 2016: 27.390), als auch die Minimalwerte der Ankünfte (Nov.13: 1362, Mrz.15: 2283, Nov.15: 3219, Jan.17: 4470) steigen. Es ist demnach ein Aufwärtstrend erkennbar, der mit der Zahl der Missionen korreliert. Korrelation bedingt nicht zwangsläufig eine Kausalität, lässt sie aber doch wahrscheinlich erscheinen.

Schaut man sich nun die neuen Zahlen an:


https://www.consilium.europa.eu/de/policies/migratory-pressures/central-mediterranean-route/


https://missingmigrants.iom.int/region/mediterranean?migrant_route%5B%5D=1376

lässt sich zum einen eine gewisse Korrelation zwischen den Reisen und den Toten auf der Route feststellen (was nicht wirklich verwunderlich ist), zum anderen, dass 2017 irgendetwas passiert sein muss, was die Lage drastisch änderte.

Der Wahlerfolg der Lega in Italien konnte es nicht sein, dieser war erst 2018. Jedoch wurde, ob der Umfrageerfolge dieser Partei (und der offenen Ablehnung der Italiener gegenüber der Migration), bereits Anfang 2017 durch Italien und die EU Libyen beauftragt und finanziell und materiell unterstützt, die Küstenwache aufzubauen und mit dieser die Schleuserboote aufzuhalten (und die Migranten zurückzubringen). Dadurch sank die Chance, durch ein europäisches Boot gerettet und in der Folge nach Europa gebracht zu werden.

Sicherlich ist Libyen kein stabiler Staat. Die Zustände dort sind grauenhaft, gerade auch für die Migranten – aber es zeigt sich, dass die sinkenden Chancen nach Europa zu kommen die Zahl der Versuche senkt und damit auch die Zahl der Toten. Letzteres muss oberste Priorität haben.

Wir sollten also versuchen, ein würdiges Lager in Afrika aufzubauen – ob in Tunesien im Rahmen eines „Entwicklungshilfeprogrammes“ oder in Libyen im Rahmen einer UN-Mission ist dabei für den Ausgang völlig gleich.
Es geht darum, Menschenleben zu retten – und das geht nur, wenn man diese Menschen nicht ermutigt, sich sehenden Auges in eine Gefahrensituation zu stürzen, nur weil sie von der Hoffnung getragen werden, dass es schon gut gehen werde.


[1] Ein balancierter Artikel dazu stammt vom Legal Tribune:
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/sea-watch-seenot-rettung-rackete-haftrichter/

[2] https://www.law.ox.ac.uk/research-subject-groups/centre-criminology/centreborder-criminologies/blog/2017/03/border-deaths

[3]http://www.sbs.com.au/news/interactive/border-related-deaths

[4]https://www.nytimes.com/interactive/2017/06/14/world/europe/migrant-rescue-efforts-deadly.html

[5] https://mediendienst-integration.de/de/artikel/fragen-und-antworten-zur-seenotrettung.html

[6] https://www.zeit.de/politik/ausland/2017-02/libyen-malta-gipfel-eu-balkanroute-fluechtlinge
https://sarobmed.org/italy-libya-memorandum-of-understanding/

1 Kommentar
  1. Schoeller
    Schoeller sagte:

    Ihr zieht sie aus em Wasser, gut, öffentlichwirksam und selbstbestätigend. Aber gerettet werden sie müssen 10 bis 20 Jahre lang von Leuten, die ihnen deutsch beibbirngen, sie ernähren, ihnen Wohnungen geben, sie ausbilden etc. Und das ist gänzlich unspektakulär. Dafür ungleich mühsamer. Vergessen? ja, völlig.

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