Rassismus: Konfrontation statt Instrumentalisierung

Schach, schwarz-weiße Springer Konfrontation

Erst zu wissen, wie wir sind, hilft uns, uns zu ändern.

Der Rassismusbegriff wird heute inflationär ausgeweitet und instrumentalisiert und erfährt dadurch eine Zweckentfremdung, die seiner eigentlichen markanten Bedeutung nicht mehr gerecht wird. Er verkommt zum politischen Werkzeug, das acht- und maßlos benutzt wird.

Dieser Beitrag soll die Grundlagen von Rassismus unter Betrachtung diverser Studien darlegen und das Bewusstsein des Lesers schärfen, mit diesen Grundlagen umzugehen.

Schach, schwarz-weiße Springer Konfrontation

Photo Credit: www.SeniorLiving.Org

Vor nicht allzu langer Zeit bekam ich das Buch „Die Natur des Vorurteils“ von Gordon W. Allport in die Hände. Es ist ein wirklich gutes Buch, wenn auch an der einen oder anderen Stelle ein wenig angestaubt und in Bezug auf die Wortwahl für die Political-Correctness-Garde der heutigen Zeit wohl ein rotes Tuch. Aber es steckt voller Wahrheiten. Viele davon sehr unbequem, möchte man sagen.

Bei der Lektüre schleichen sich dann, im Lichte der heutigen politischen Entwicklung, ketzerische Gedanken ins Bewusstsein:
– Wie tief sitzt die „Natur des Vorurteils“?
– Gibt es biologische Mechanismen, die uns „das Andere“ vermeiden lassen?
– Ist das heute verschriene „racial profiling“ nur eine natürliche Reaktion? Ist es unvermeidbar? Oder vielleicht gar nicht so verkehrt?

Schaut man sich den Diskurs der näheren Vergangenheit zum Thema Rassismus an, wird man ob der einseitigen Betrachtungsweise enttäuscht. Kaum ist die Rede von biologischen Ursachen, selten taucht das Wort „Rasse“ noch auf, mehr wird von Ethnie oder Ethnizität gesprochen. Dieser Begriff entstammt den Sozialwissenschaften und hat ursprünglich weniger mit einer biologischen, als eher einer sozialen Zusammengehörigkeit, einer gemeinsamen Kultur, Geschichte, Sprache etc. zu tun. Als Olivenzweig werde ich den Begriff in diesem Artikel dennoch verwenden, da die noch am ehesten passende biologische Bezeichnung der verschiedenen Volksgruppen als Unterarten des Menschen wohl für noch weit mehr Furore sorgen würde. Warum auch das nicht so ganz zutreffend ist, es also kompliziert bleibt, führt Ulrich Kattmann in seinem Essay auf Spektrum.de aus.

Viel ist die Rede von sozialen Konstrukten, von der absoluten Gleichheit der Menschen in allen Belangen unter der Haut, das Label „Rassist“ wird Menschen wie Sam Harris aufgedrückt für das Gedankenverbrechen, kritische Fragen zu stellen und evolutionäre Grundsätze auf den Menschen anzuwenden. Oder gar genetische Grundlagen für Intelligenz und unterschiedliche Verteilung dieser in verschiedenen Ethnien zu vermuten.

Erst kürzlich kommt wieder Schwung in die Debatte, nachdem in den USA der Genetiker David Reich einen intellektuellen Streit über einen Zusammenhang zwischen Erbgut und Rassen losgetreten hat. Der Bericht der Neuen Züricher Zeitung schlug in den sozialen Netzwerken entsprechende Wellen. Das Gebiet war lange Zeit, dank Political Correctness, ein Minenfeld, eine intellektuelle No-Go-Area quasi. Man muss sich nur die Reaktionen auf Thilo Sarrazins Thesen ansehen, valide oder nicht, aber diskussionswürdig in jedem Fall, um zu erahnen, was eine offene Diskussion zu der Thematik für den Ruf eines Wissenschaftlers zu bedeuten hat.

Andere, hier fällt vor allem die No-Hate-Speech-Kampagne negativ auf, gehen so weit, das Konzept des Rassismus derart inflationär zu verwenden, und damit zu verwässern, dass es auf jede Gruppe von Menschen anwendbar ist.
Sind sie in irgendeiner Form abgrenzbar und benachteiligt oder es bestehen Vorurteile gegen sie? Dann ist das, laut deren Definition, Rassismus.[1]

Es bleibt einem also nichts anderes übrig, etwas weiter in die Vergangenheit zu schauen. Und das ist, als öffne man die Büchse der Pandora. In der Zeit zwischen Allports „Natur des Vorurteils“ und heute sind viele, viele Experimente durchgeführt worden. Und nicht nur direkt auf die Thematik bezogene Arbeiten haben meine Aufmerksamkeit erregt. Auch aus anderen Disziplinen kann man sich bedienen, um einige verifizierte Thesen zu formulieren.
Sie klingen ketzerisch, erklären aber einiges:

Wir reagieren intensiv auf optische Reize.
Wir haben eine instinktive Tendenz zu Sachen, die uns ähnlich sind – je weniger Ähnlichkeit, desto weniger grundsätzliche Offenheit.[2]
Darauf aufbauend wird unser Weltbild durch Erfahrungen geformt – durch das Erkennen von wiederkehrenden Mustern werden Entscheidungen getroffen, Vorurteile entstehen so.
Dieser Erfahrungsschatz, auf den wir bei den unbewussten Entscheidungen zugreifen, sind nicht nur persönliche, nicht nur unsere eigenen, sondern auch solche aus dem „sozialen Gedächtnis“, also Erfahrungsberichte aus unserem Umfeld.[3]
Und diese Erfahrungen, unser geformtes Weltbild, kann die „Grundprogrammierung“ der Reserviertheit gegenüber Andersartigem überschreiben, sodass wir dem Fremden zugetan sind, oder es abgrundtief verabscheuen – und alles dazwischen.

Zum Rassisten geboren oder zum Rassisten gemacht?

Aber first things first – viele Sozialkonstruktivisten stellen sich den Menschen bei der Geburt als weißes, unbeschriebenes Blatt vor. Alles was aus ihm einmal werden kann, wird durch seine Umwelt bestimmt. Dass dem nicht uneingeschränkt so ist, zeigt sich anhand verschiedener Untersuchungen – so entwickeln sich zum Beispiel kulturübergreifend die Gehirne von Männern und Frauen unterschiedlich und Hormone wirken bereits im Mutterleib auf den Fötus, was dann auch nach der Geburt zu geschlechterspezifischem Verhalten führt.[4] Offensichtlich gibt es also einige grundsätzliche „Drähte“, die von vornherein gelegt werden.[5]

Beim Menschen fällt darunter u.a. das Verlassen auf visuelle Reize, welche nun mal, das liegt in der Natur der Sache, bei verschiedenen Volksgruppen offenkundig unterschiedlich sind. Untersuchungen mit Säuglingen und Kleinkindern haben ergeben, dass bereits im Alter von 2,5-5 Jahren eine Präferenz für menschenähnliche Objekte, sprich Puppen entwickelt wird, die der eigenen Hautfarbe am ähnlichsten ist.[6] Diese Präferenz wurde mehrfach bestätigt, etwa 2009 durch ein abgewandeltes Experiment, bei dem die Probanden anderen Kindern verschiedener Ethnien, u.a. auch ihrer eigenen, Spielzeug geben sollten.[7] Hierfür kann man verschiedene Erklärungsansätze anführen, wie die Sozialisation im Familienrahmen, bei dem die Kleinkinder natürlich überwiegend mit der eigenen Ethnie konfrontiert werden, aber es ist auffällig, dass sich die Präferenz für die eigene Ethnie im gleichen Zeitraum entwickelt wie die Selbstwahrnehmung im Spiegel.[8]

Eine mögliche, und wünschenswerte Veri- oder Falsifizierung könnte hier ein vergleichbarer Test mit multiethnischen Kindern sowie außerhalb des eigenen Phänotypus adoptierten Kindern liefern. Da die Entwicklung im Bezug auf Selbstwahrnehmung bei Kindern mit Down-Syndrom verzögert ist[9], bietet sich hier ebenfalls eine Möglichkeit zur Untersuchung eines Zusammenhangs an.

Ein weiterer Hinweis, dass eine erhöhte Aufmerksamkeit auf von der In-group abweichende Merkmale gelegt wird, ist ein noch recht aktuelles Experiment von 2014, in dem Asiaten und Weißen simulierte Gesichter aus einem Spektrum zwischen den beiden Polen „phänotypisch weiß“ und „phänotypisch asiatisch“ vorgelegt wurden, welche sie einer Ethnie zuordnen sollten. Dabei wurde offensichtlich, dass Weiße eher dazu neigen, Bilder mit gemischten phänotypischen Eigenschaften als „asiatisch“ einzustufen, sogar wenn der „weiße Phänotyp“ überwog. Asiaten zeigten ein äquivalentes Verhalten, legten also ebenso ein besonderes Augenmerk auf Abweichungen.[10] Eine mögliche Ursache für dieses Verhalten ist das evolutionär notwendige, unmittelbare Erkennen von Out-group-Angehörigen und einer damit einhergehenden möglichen Gefahr.

„Wenn jemand von außen hereinkommt, den ich nicht kenne, kann das ein potentieller Konkurrent sein, und somit zeigt sich Xenophophie[…].“[11]
Bernard Wallner

Der Fremde als Gefahr – ein evolutionsbiologisches Relikt?

Auch der Verhaltensforscher Kurt Kotrschal bestätigt, dass unser Gehirn noch in der Welt des Neolithikums lebe, das von Kleingruppen von 100 bis 150 Leuten geprägt gewesen sei.[12]

Bernhard Verbeek, der die Evolution ethnischer und religiöser Konflikte erforscht, beschreibt die Abneigung gegen Fremdes als „programmierte Denkneigung“, auch bei anderen sozial lebenden Tieren sei die Prämisse „Groupness vor Fairness“ vorherrschend. Durch die Ressourcenknappheit der Steinzeit seien jene mit starkem Gruppengefühl und Wehrhaftigkeit gegenüber anderen Gruppen im Vorteil gewesen.

„Überlebt haben nicht die friedlichsten, sondern die erfolgreichen.“[13]
Bernhard Verbeek

Der deutsche Evolutionsbiologe Bert Hölldober geht sogar noch einen Schritt weiter. Er sieht eine Verbindung zwischen Altruismus und Fremdenfeindlichkeit.

„Fremdenfeindlichkeit ist just bei jenen Arten stark ausgeprägt, die hoch entwickeltes Helferverhalten zeigen. […]
Familienbezogener Altruismus ist der Kernfaktor des Zusammenlebens der Menschen, ganz gleich, welcher Zivilisation, welcher Kultur oder welchem politischen System sie angehören. […] Konkurrenz innerhalb einer Gruppe schlägt in Kooperation um, wenn Konkurrenz von außen droht. […] Wo kooperative Gruppen in der Natur existieren, gibt es immer das Ausgrenzen von Gruppenfeinden.“
[14]
Bert Hölldobler

Erfahrungen und Proxy-Erfahrungen

Nun gehört zum Menschen als vernunftbegabtem Wesen mehr dazu, als nur seine biologische Grundlage – die Erfahrungen prägen das Verhalten, insbesondere die Entscheidungen, die wir treffen.[15] Wir formen unser Weltbild durch eben jene Erfahrungen. Seien es Artikel, die wir lesen und reflektieren, eigene Erlebnisse, oder aber auch Erzählungen und Erfahrungsberichte, egal ob erfunden oder legitim. Ich möchte hier im Weiteren von Proxy-Erfahrungen, also stellvertretend gemachten Erfahrungen sprechen.

Jeder kennt das, wenn man in eine unbekannte Situation kommt, die ein Bekannter bereits gemeistert hat, fragt man sich, was dieser Bekannte getan hat, um zum gewünschten Ergebnis zu gelangen. Um zu verdeutlichen, wie mächtig diese Proxy-Erfahrungen sein können, möchte ich hier einen Ausschnitt aus dem Buch „The Nature of Prejudice“ anführen:

In a certain Guatemalan community there is a fierce hatred of the Jews. No Resident has ever seen a Jew. How did the Jew-is-to-be-hated category grow up? In the first place, the community was strongly Catholic. Teachers had told the residents that the Jews were Christ-Killers. It also happened that in the local culture was an old pagan myth about a devil who killed a god. Thus two powerfully emotional ideas converged and created a hostile prejudgement of Jews.[16]

In einer gewissen guatemalischen Gemeinde existiert ein heftiger Hass gegen die Juden. Niemand dort hat jemals einen Juden gesehen. Wie also kam diese Juden-müssen-gehasst-werden-Kategorie zustande? Zuerst einmal, die Gemeinde war streng katholisch. Lehrer hatten ihnen erzählt, dass die Juden Christus-Mörder seien. Dazu kommt, dass es in der lokalen Kultur einen alten heidnischen [gemeint ist die einheimische Religion, Anm. d. Autors] Mythos über einen Teufel, der einen Gott tötet, gab. Damit laufen zwei mächtig emotional[geladene] Ideen zusammen und führen zu der feindseligen Vorverurteilung von Juden.

 

Bei diesen Proxy-Erfahrungen neigen wir dazu, Erfahrungsberichte von Leuten, denen wir vertrauen[17] oder Autorität zusprechen, höher zu werten[18], als Erfahrungen von Leuten, die wir nicht kennen oder sogar verabscheuen.[19] Außerdem wird vermehrt geäußerten, übereinstimmenden Erfahrungsberichten ein höheres Gewicht zugesprochen.[20] Dazu kommt, dass wir Informationen, die unserem bisherigen Weltbild widersprechen, kritischer bewerten und tendenziell weniger Gewicht verleihen.[21] Diese unterschiedlichen Gewichtungen sind ebenfalls die Grundlage der in letzter Zeit (erfreulicherweise) immer mehr in den Fokus rückenden logischen Fehlschlüsse. Vermutlich liegt der Schlüssel zum Verständnis dieser irgendwo in der evolutionären Psychologie. Die unterschiedliche Gewichtung der Erfahrungsberichte erfolgt überwiegend unbewusst, es kann aber helfen, sich die Ursache bewusst zu machen und neue Information einer kritischen Prüfung zu unterziehen.

Die gleiche Gesellschaft, aber aus unterschiedliche Perspektiven

Genau diese eben genannten Grundsätze führen zu der Ausdifferenzierung, die wir heute sehen, von bedenkenloser Xenophilie bis zum vorbehaltslosen Rassenhass – und erklären auch diverse Auffälligkeiten:

Akademiker und andere wohl situierte Menschen wachsen überwiegend behütet auf. Die Erfahrungen und Proxy-Erfahrungen, die sie in Bezug auf andere ethnische Gruppen sammeln, sind wenige, aber überwiegend positive, geprägt von Film und Fernsehen. Und wenn sie auf Angehörige anderer Ethnien treffen, sind diese meist aus einem vergleichbar gehobenen Umfeld, eine Positivauswahl, oder die Zusammentreffen sind freiwillig und von einer möglichst positiven Selbstdarstellung geprägt. Da sind wir dann bei dem von Pegida und AfD angeprangerten „Elfenbeinturmsyndrom“ von Politikern.

Bei der Tommy Robinson’schen „Working Class“ oder den AfD-Hochburgen in Westdeutschland, wie etwa Deggendorf, sieht das anders aus: Sie sind den Auswirkungen von Migration unmittelbar ausgesetzt. Die Aufeinandertreffen sind unfreiwillig oder besser: unvermeidbar. Gleichzeitig bietet Konkurrenz um Wohnraum und Arbeitsplätze mannigfaltige Möglichkeiten, negative Erfahrungen zu sammeln.
Dazu kommt noch, dass das Umfeld von sozial schwachen Menschen immer, unabhängig vom kulturellen Hintergrund, durch (im Vergleich zur gesamten kulturellen Vergleichsgruppe) überdurchschnittliche Kriminalität und Gewaltneigung geprägt ist.
Dieser Personenkreis ist demnach, im Gegenteil zu den Akademikern, einer Negativauswahl ausgesetzt, was dann zu einem negativ verzerrten Bild führt.

Racial Profiling

Polizisten wird nachgesagt, eher fremdenfeindlich eingestellt zu sein, „Racial Profiling“ wird als negatives Verhalten angeprangert. Wenn wir uns nun aber anschauen, mit welchen Personengruppen sie in der Regel zu tun haben, sind das nun mal, das liegt in der Natur ihres Berufs, Straftäter und Störenfriede. Im Gegensatz zur Ethnie der Mehrheitsgesellschaft gehen aber Angehörige anderer Ethnien nicht im Grundrauschen unter.

Ein Beispiel:
Für die Zahl nordafrikanischer Straftäter, also Negativbeispiele, mit denen er berufsbedingt in einer Woche zu tun hat, trifft ein Polizist, wegen ihrem vergleichsweise geringen Anteil an der Gesellschaft, nicht genügend „neutrale“ oder positive Beispiele, um diesen Eindruck zu verwischen. Im Gegensatz dazu, selbst wenn er in absoluten Zahlen mehr mit mitteleuropäischen Straftätern zu tun hatte, verschwimmt dieser Eindruck, da er jeden Tag tausende Mitteleuropäer trifft, die eben keine Straftaten begehen.

So formt sich ganz automatisch ein Stereotyp. Dieser Stereotyp kann auch salopp als „polizeiliche Erfahrung“ beschrieben werden, auf deren Grundlage „Racial Profiling“ durchaus sinnvoll sein kann. Die zum Jahreswechsel 2016/17 durchgeführten verstärkten Kontrollen von nordafrikanisch bzw. arabisch aussehenden Männern hatte durch die Ereignisse des Vorjahres durchaus seine Berechtigung. Man würde einer Frau, die 2015/16 aus einer Gruppe dieser Männer belästigt wurde auch nicht vorwerfen, beim erneuten Zusammentreffen mit Männern ähnlichen Aussehens vorsichtig zu sein.

Die Stereotypen der jeweils anderen Gruppe, egal ob positiv oder negativ gefärbt, erscheinen je nach Perspektive als überzogen, fremdenfeindlich oder naiv. Sie sind alle nicht unbegründet und trotzdem allesamt objektiv nicht völlig zutreffend.
Wir können aus unserer subjektiven Perspektive nur versuchen, uns der objektiven Realität zu nähern. Statistiken mit möglichst großer Stichprobe sind hier ein guter Weg. Aber auch diese müssen so objektiv wie möglich erstellt werden und können, je nach Präsentation, wieder missbraucht werden, um das eigene politische Narrativ voranzutreiben.

Folgendes muss uns also bewusst sein, wenn wir mit abweichenden vorgefestigten Meinungen konfrontiert werden:
Wir sind Menschen.
Wir reagieren auf optische Reize.
Wir kategorisieren ganz unbewusst.
Menschen einer Ethnie weisen optisch ähnliche Merkmale auf.
Aufgrund unserer Erfahrungen mit Menschen, die ähnlich aussehen, erwarten wir unvermeidbar zuerst ein bestimmtes Verhalten.

Nun, liebe Leser – ist das rassistisch?
Es gibt viele verschiedene Definitionen, aber allen gängigen ist gemein, dass es sich im weiteren Sinne um das vorschnelle Fällen von Urteilen auf Basis der ethnischen Zugehörigkeit handelt. Ja, demnach sind wir alle rassistisch, zumindest im weiteren Sinn. Jeder von uns. Jede Ethnie, jedes Geschlecht, jede beliebige Gruppe. Es ist natürlich in uns verankert.

Sind wir deswegen in unserem Handeln daran gebunden? Ist Rassismus deswegen gut, Diskriminierung gerechtfertigt? Nein. Nur weil etwas natürlich ist, ist es nicht gut oder vorteilhaft. Jeder Mensch ist anders – und auch wenn ein Schubladendenken uns schnelle Entscheidungen ermöglicht, müssen wir uns vor Augen führen, dass ein Mensch, der dem ersten Eindruck nach in diese Schublade passt, ganz anders sein kann. Aber es ist akzeptabel, mit einer gewissen Erwartungshaltung in eine Situation zu gehen. Sie sollte nur nicht das Handeln diktieren. Man muss offen für Überraschungen sein und willens, seinen Stereotyp zu überarbeiten.

Als Menschen sind wir an einem Punkt unserer Entwicklung, an dem der Intellekt über den Instinkt obsiegen kann.
Jedoch hilft es sicher, wenn negative Stereotypen von Minderheiten durch diese nicht weiter durch entsprechendes Verhalten verstärkt würden. Das ist der Kerngedanke, den wir bei der Integration von Menschen eines signifikant anderen Phänotypus in unsere Gemeinschaft vor Augen haben sollten. Immer weiter gepflegte Stereotypen (von beiden Seiten) sorgen für eine Spaltung, in der das Anderssein betont wird.

Abschließen möchte ich mit einem geborgten Appell, einem Zitat des kanadischen Psychologen Mark Schaller zum Thema Xenophobie:

„Man muss vorsichtig darüber reden, denn es gibt die Tendenz zu glauben, dass, wenn sich etwas entwickelt hat, es etwas Natürliches sei. Und das wiederum sei gut und richtig. Das ist aber völlig falsch. Wissenschaftliche Erklärungen sind einfach wissenschaftliche Erklärungen und keine moralische Rechtfertigungen. Wissenschaft ist keine Moralphilosophie.“[22]

Ich hoffe, diesem Anspruch gerecht geworden zu sein. Eine Vermeidung des Themas oder Verleugnung der Realitäten im öffentlichen Diskurs wird uns jedenfalls nicht weiter bringen.

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Quellen:

[1] vgl. dazu die Werke von Stuart Hall und Étienne Balibar, auf die sich auch No-Hate-Speech bei seinen Erklärungen zum „antimuslimischen Rassismus“ beziehen.

[2] Allport sieht die Tendenz zur Vermeidung von Anstrengung als Hauptursache dafür (vgl. G. W .Allport „The Nature of Prejudice“, Chapter 2, S.17ff.), doch spätere Untersuchungen zeigen bereits in Kleinkindern in-group- Präferenzen, Anstrengung zu sozialen Anpassungen können hierbei keinen Ausschlag geben.

[3] Auf diese Erfahrungen aus dem sozialen Gedächtnis wird im Weiteren vertieft eingegangen, vgl. Fußnoten 16ff

[4] vgl. Bischof-Köhler, Doris: „Von Natur aus anders – Psychologie der Geschlechterunterschiede“, W. Kohlhammer-Verlag, 1. Auflage 2002, S.196f.

[5] Weiterführend S. Pinker – „The blank slate“

[6] Hraba, J. & Grant, G. (1970). Black is beautiful: A reexamination of racial preferences and identification.

[7] Kinzler, K. &Spelke, E. (2009). Do infants show social preferneces für people, differing in race?

[8] vgl. Mans, L., Cicchetti, D. &Sroufe, L.A. (1978), Mirror Reactions ofDown’s Syndrome infants and toddlers: Cognitive underpinnings of self-recognition.

[9] ebenda

[10] Bento, C. & Skinner, A. (2014). Deciding on Race: A diffusion model analysis of race-categorisation.

[11] Bernard Wallner, in „Angstbeißer – Evolutionsbiologen erklären die Angst vor dem Fremden“, erschienen auf Profil.at, 21.10.2015

[12] Kurt Kotrschal, ebenda.

[13] Bernard Verbeek, ebenda.

[14] Bert Hölldober, ebenda.

[15] vgl. Helmut/Pfister/Fischer – Die Psychologie der Entscheidung

[16] G. W. Allport, „The Nature of Prejudice“, S.22

[17] Wenn Eltern ihren Kindern nahebringen, dass die Herdplatte heiß und damit gefährlich ist, vertrauen sie diesem Urteil.

[18] vgl. Milgram-Experiment; dies mündet in dem Logischer Fehlschluss: Argument from Authority

[19] Oder übernimmt der Leser die Geisteshaltung „Ausländer sind Verbrecher“, wenn er sie von einem Neonazi hört?

[20] das mündet in dem logischen Fehlschluss: Argument from Popularity ; oder in dem bekannten Elevator Experiment

[21] Confirmation Bias, vgl. Felix Kruppa – „Warum wir unsere Meinung nicht ändern“, ebenfalls auf Gott und die Welt

[22] Mark Schaller, in „Angstbeißer – Evolutionsbiologen erklären die Angst vor dem Fremden“

6 Kommentare
  1. Michael Tinbergen
    Michael Tinbergen sagte:

    Alexander von Humboldt (1769-1859) sagte einst; Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung der Menschen die, die Welt nie gesehen haben. Nun ich habe die Welt gesehen und schnell erkannt das, dass was mich mit anderen Menschen verbindet, egal welcher Hautfarbe, Nationalität oder Religion ,ungleich größer ist als die Kleinigkeit die uns unterscheidet oder gar trennt. Der einzige Unterschied der Sichtbar wurde, war die National – Ideologische Gehirnwäsche die uns ja allen in sehr jungen Jahren mit der Muttermilch eingetrichtert wurde. Aber wenn du nur den Menschen vor dir hattest und allgemeine Dinge wichtiger wurden als nationales oder religiotisches Gesabber, tja, dann war der „Fremde“ auf einmal nicht mehr fremd und er wurde oft zu einen Spiegel meines Selbst !!! Nach all diesen Erfahrungen die ich habe machen dürfen , ist mir sogar mein „Nationalgefühl“ abhanden gekommen. Darum definiere ich mich heute in erster Linie als Mensch !
    Nationalitäten oder gar Hautfarben sind völlig ohne Belang.
    Also ihr Rassisten, Nationalisten und andere Intelligenzverweigerer, ihr könntet euren Horizont erweitern wenn ihr nur wollt. Um neue Eindrücke zu gewinnen, reicht schon ein kleiner vorsichtiger Blick über den eigenen Tellerrand. Xenophobie oder Fremdenfeindlichkeit basiert immer auf Angst und ist auch ein Beweis der eigenen Dummheit und extremer Bildungsferne. Aber ich wünsche euch, trotz meiner tiefen Abneigung vom ganzen Herzen eine radikale Erweiterung eures unglaublich beschränkten Horizonts. Natürlich verstehe ich , das Menschen wie ihr, nur schwerlich in der Lage sein werdet, eure aus der Dummheit geborenen Grenzen zu überschreiten. Aber wer will schon Bewusstseinserweiterung ?
    Das eigene (beschränkte) Weltbild gibt euch ja das Recht Menschen in Kasten einzuteilen um sich aus dieser Perspektive wiederum mit dem Privileg des „Herrenmenschen“ zu schmücken. Apropos; die Dummheit von der ihr befallen seit, hat mehr Menschen umgebracht und eingekerkert, Bücher verbrannt und ganze Völker ausgerottet als jede andere Kraft in menschlicher Geschichte.
    Keine Macht den Doofen ? Sieht leider nicht so aus, denn die Dummheit übernimmt gerade die Führung der Welt.
    Shalom

    Nachwort von Christian Morgenstern (1871-1914)

    Die Dummheit spricht

    Der Mensch begießt, wer weiß warum,
    den Nächsten mit Petroleum;
    und steckt ihn an, wie dieser Ihn,
    und beide brennen wie ein Kien.

    Die Dummheit sitzt im Sorgestuhl !
    Ach Gott , ist das ein Jammerpfuhl!
    Allein, allein, allein, allein
    es muss wohl sein, es muss wohl sein.

    Es spricht ihn ihrem Schädel hohl:
    Man braucht ihn wohl, man braucht ihn wohl,
    den Krieg, denn wenn der Krieg verstummt,
    so ist gewiss, dass man verdummt.

    Verdummen aber darf man nicht,
    mit tiefem Blick die Dummheit spricht;
    nur dumm nicht – spricht sie – eher roh.
    Ach Gott, wir sind nun einmal so.

    Antworten
    • Store Skinsbjørn
      Store Skinsbjørn sagte:

      Hallo Michael,
      zuerst einmal Danke für deinen ausführlichen Kommentar.

      Es freut mich immer, wenn sich jemand an einem Dialog oder einer Diskussion beteiligt – gerade, wenn es ein derartiges Thema ist.

      Allerdings fürchte ich, dass ich dir die Intention des Artikels nicht richtig rüber bringen konnte.
      Mitnichten ist dies ein Normalisierungsappel für, oder gar ein Aufruf zu Fremdenfeindlichkeit. In diesem Themenbereich bin ich ein absoluter Idealist – ich bin der festen Überzeugung, dass eine Multiethnische Gesellschaft durchaus funktionieren kann und auch sollte.

      Ich bin mir nicht sicher, ob ein Sammelsurium an Beleidigungsversuchen der beste Einstieg in einen Austausch ist, aber das beiseite.
      Ich bin mir nicht einmal sicher, ob diese an mich als Autor, uns als Blogger auf Gott und die Welt allgemein, oder an eventuelle Leser aus dem rechtsnationalen Spektrum, die sich ggf hierher verirren, richtet.

      Trotz deiner starken emotionalen Reaktion auf das Thema möchte ich dich einladen, den Artikel nochmals zu lesen und wenn dir irgendwo Fehler auffallen, diese doch bitte konkret zu benennen.
      Ich selbst wähle im Kontakt mit allen Menschen einen individualistischen Ansatz, versuche zu jedem Individuell ein eigenes Bild zu erstellen und nicht auf Stereotypen zurück zu fallen.
      Dies gelingt mir aber erst besser, seit ich um die Mechanismen weiß, welche diese Stereotypen bilden.

      Wenn ich in meiner beruflichen Laufbahn auf eine Gruppe treffe, die sich selbst bewusst aus der Masse durch Kleidung und Körperschmuck, sowie Haartracht als „Punker“ abhebt, gehe ich natürlich trotzdem mit einer gewissen Erwartungshaltung in die Situation – die Erfahrung hat mich gelehrt, dass ich ein gewisses Verhalten erwarten kann.
      Ich kann mich darauf einstellen und im Falle des Falles entsprechend Handeln, ohne viel nachdenken zu müssen – das sind die evolutionären Mechanismen der Mustererkennung.
      Jedoch bin ich mir bewusst, dass sich die Leute komplett anders verhalten können – so bin ich eben auch von abweichendem Verhalten nicht überrascht und kann schneller Umschalten und erwarte nicht unmittelbar eine Finte o.Ä.
      Zum Glück bin ich bisher von einer derartigen Situation bisher verschont geblieben – ansonsten würde diese mein zukünftiges Handeln dann natürlich ebenfalls beeinflussen.

      Aus diesem Grund habe ich die Quellen zusammen getragen und diesen Artikel verfasst – denn nur das Wissen um diese Mechanismen ermöglicht uns einen gesunden Umgang mit den unvermeidlichen Stereotypen.

      Ich freue mich auf deinen nächsten, dann vielleicht mit Verbesserungsvorschlägen gespickten Kommentar.

      mit freundlichem Gruß

      Antworten
  2. Sven Peters
    Sven Peters sagte:

    Multiethnische Gesellschaften? Was soll das sein? Auf welchem Prinzip sollten jene funktionieren? Die Geschichtsschreibung kennt allerdings keinen derartigen Fall. Gesellschaften sind primär determiniert durch Verhältnisse (Besitz, Eigentum, Verteilung, Gesetzgebung … Konkurrenzverhältnisse). Hieraus resultiert Ungleichheit oder ein Gegensatz. Diese Ungleichheit verschärft sich durch das Fremde oder das Anderssein. Das ist wohl eher das Grundproblem.
    Eine funktionierende multiethnische Gesellschaft ist wohl eine Utopie, die zudem einen göttlichen Menschen erfordert. Es ist wie mit allen Idealen: sie existieren nur im Kopf.

    Antworten
    • Store Skinsbjørn
      Store Skinsbjørn sagte:

      Hallo Sven,
      bitte verzeih, dass ich Dir erst jetzt antworte – ich war beruflich und familiär stark beansprucht…
      aber zu Deinem Beitrag:
      Multiethnische Gesellschaften gibt es bereits zahlreich, um ein paar zu nennen: die USA, Brasilien, Frankreich, UK, und auch Deutschland. Sie funktionieren durch das Vorhandensein vieler Ethnien in einem Land ;-)
      Nein, quatsch mir ist klar, dass du meinst, was sie erfolgreich machen soll. Es bedarf dazu einer gemeinsamen Basis, die als Bindeglied fungiert.
      Und einer Kultur, die Wert auf den individuellen Wert des Menschen legt, statt Eigenschaften der ethnischen Zugehörigkeit zuzuschreiben. Dieses stetige Predigen der ethnischen Trennlinien vertieft sie nur – leider ist genau diese Denkweise wieder auf dem Vormarsch, wenn auch unter anderen Vorzeichen: die Identitätspolitik mag mit guten Intentionen aufwarten, trägt aber zwangsläufig zu einer Spaltung der Gesellschaft bei.

      Es ist eine persönliche Meinung, wenn ich sage, dass ich nicht denke, dass es einen „göttlichen“ Menschen zum funktionieren braucht, lediglich einen selbstreflektierten, der sich seinen Hang zur Kategorisierung eingesteht – und sich die Möglichkeit offen hält, seine vorgefasste Meinung zu revidieren und den Einzelnen doch als das Individuum zu beurteilen, dass er ist.
      Denkst du nicht, dass wir das inzwischen intellektuell leisten können? ;-)

      Antworten
      • Branko Jungic
        Branko Jungic sagte:

        Mit anderen Worten: Eine funktionierende ethnisch heterogene Gesellschaft muss immer eine kulturell homogene Gesellschaft sein! Die Elemente einer Kultur sind Normen und Werte, die ihrerseits von allen Mitgliedern der betreffenden Gesellschaft anerkannt sein müssen..

        Antworten
        • Store Skinsbjørn
          Store Skinsbjørn sagte:

          Hallo Branko.
          Ja, in etwas eingeschränkter Form kann man dem zustimmen.
          Zwar ist es nicht notwendig, dass ALLE Mitglieder den kulturellen Werten folgen (immerhin setzen sich auch Kriminelle über den kulturellen Wert der Menschenrechte und den Rechtsstaat hinweg) aber man kann wohl sagen, dass eine starke gemeinsame kulturelle Basis von vielen Mitgliedern getragen werden muss.
          Und diese müssen auch willens sein, diese Werte gegen Angriffe oder Erosion zu verteidigen.

          Übrigens ist auch eine ethnisch homogene Gruppe auf Zusammenhalt auf kultureller Ebene angewiesen, das beschränkt sich nicht auf ethnisch heterogene Gruppen.
          Ich verweise hier nur auf den Irland-Nordirland-Konflikt…

          Antworten

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