Religiösen Glauben muss man respektieren! – Warum eigentlich?

Glaubensverteidiger verschiedener Konfessionen berufen sich auf diese Formel: Glaube müsse respektiert werden. Glaubensüberzeugungen stünden in einer Diskussion unter besonderem Schutz. „Das ist eben mein Glaube“ sei eine legitime Rechtfertigung für eigene Positionen.[1]

Was ist „Glaube“? Glaube ist das Annehmen von Überzeugungen ohne rechtfertigende Gründe.[2] Die Bibel buchstabiert es aus: „Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, das man nicht sieht.“[3] Glaube ist nichtgerechtfertigte Gewissheit, eine erwünschte Annahme sei wahr. Glaube ist der Verzicht auf Zweifel, obwohl Zweifel angemessen wären. Ist das eine intellektuell respektable Position?

 

Sind die Glaubensinhalte überhaupt wahr? Das wird nachrangig, wenn die emotionale Rendite stimmt. (Titel Werbebroschüre Jehovas Zeugen, 2010, Druck und Verlag: Wachtturm, Selters/Taunus)

Sind die Glaubensinhalte überhaupt wahr? Das wird nachrangig, solange die emotionale Rendite stimmt.
(Werbebroschüre Jehovas Zeugen, 2010, Druck und Verlag: Wachtturm, Selters/Taunus)

 

Blinder Glaube wird im Christentum als Tugend propagiert. Das Johannes-Evangelium erzählt die Geschichte des „zweifelnden Thomas“. Der auferstandene Jesus erscheint im Kreis seiner Jünger und segnet sie. Thomas ist abwesend und bezweifelt später die Auferstehungsberichte. Er wünscht sich Evidenz (umgangssprachlich: Beweise) für diese unglaubliche Behauptung. Jesus erscheint einige Tage später erneut, erfüllt Thomas‘ Wunsch und zeigt ihm seine Wundmale. Damit sind Thomas‘ Zweifel beseitigt. Jesus weist ihn für seine Skepsis zurecht: „Weil du mich gesehen hast, Thomas, so glaubst du; selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“[4]

„Nicht sehen und doch glauben“ ist die Programmatik religiösen Glaubens: Behauptungen über die Realität sollen beweislos als wahr akzeptiert werden. Unterschiede zwischen Wunsch und Wirklichkeit verschwinden.

Blind zu glaubende Tatsachenbehauptungen bilden den Kern der abrahamitischen Religionen.[5] Das christliche Glaubensbekenntnis ist nicht etwa eine ethische Selbstverpflichtung zu Vergebung und Nächstenliebe, sondern eine Liste von etwa zwanzig unplausiblen Behauptungen über die Welt, die beweislos geglaubt werden sollen.[6] Im Islam wird dieser Dogmenkatalog unter dem Begriff „Aqida“ zusammengefasst.[7] Darunter finden sich die „sechs Glaubensgrundsätze“ des Islams.[8] Das islamische Glaubensbekenntnis, die Schahada, besteht aus drei Behauptungen über die Realität (Allah existiert, daneben keine weiteren Götter, Mohammed ist der Gesandte). Diese Dogmen sollen unkritisch und beweislos als wahr akzeptiert werden. Das Auftauchen gerechtfertigter Zweifel an diesen Behauptungen gilt als Charakterschwäche oder Loyalitätsmangel.

In keinem anderen Diskursgebiet gelten derart bizarre Regeln. Nirgendwo sonst akzeptieren wir Wunschdenken, vorsätzliche Kritiklosigkeit, Dogmatik, Ausschalten legitimer Zweifel und blinde Autoritätshörigkeit als gültige Erkenntnisstrategien in Fragen über die Welt. Aus gutem Grund: Sie führen beinahe garantiert zu unwahren Überzeugungen, zu Selbstbetrug und Realitätsverkennung.

Ich kann keinen Grund erkennen, der Erkenntnisstrategie des „Glaubens“ irgendeine Form des Respekts entgegenzubringen. Im Gegenteil. Glaube erscheint mir intellektuell suspekt.

Ich empfinde unwillkürlich Respekt vor der gegenteiligen Herangehensweise: vor ehrlicher, ergebnisoffener Erkenntnissuche. Ich entwickle automatisch Achtung und Wertschätzung für seriöse Anstrengungen, die eigenen Überzeugungen mit der Realität in Übereinstimmung zu bringen. Ich meine, es zeugt von persönlicher Stärke, auch inopportune Schlussfolgerungen akzeptieren zu können, liebgewonnene Überzeugungen kritisch zu hinterfragen und unbeantwortbare Fragen offen zu lassen, statt sich mit falschen Gewissheiten zu trösten. Mein Vorschlag: Weniger Respekt für Glaube, und stattdessen größere Wertschätzung für ehrliche Methoden der Erkenntnisgewinnung.


Anmerkungen

[1] „Glaube“, das Annehmen von Überzeugungen ohne rechtfertigende Gründe, kann in einem rationalen Diskurs keine Begründung für eine Position sein, denn es ist der Verzicht auf eine rationale Begründung.

[2] „glauben“ umfasst eine weitere Bedeutung: die rational gerechtfertigte Vermutung. „Ich glaube, dass auch morgen die Sonne aufgeht“ ist eine rational gerechtfertigte, durch empirisch-induktive Schlussfolgerung gewonnene Überzeugung. Religiöser Glaube (faith) ist das Gegenteil: rational nicht-gerechtfertigte Überzeugung.

[3] Hebräer 11:1

[4] Johannes 20:29

[5] Religionen enthalten darüber hinaus ein breiteres Spektrum an Inhalten, z.B. kulturelle und identitätsstiftende Merkmale, Werturteile, ethische Regeln, Rituale, soziale Funktionen. Im Kern basieren sie jedoch auf einem Behauptungskatalog über die Realität. Würden diese irrationalen Behauptungen weggelassen, bliebe von den Religionen nichts übrig. Ohne die vernunftwidrige Behauptung, Jesus sei von den Toten auferstanden, ist das Christentum substanzlos. „Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsre Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich.“ (1. Korinther 15:14)
Ohne die vernunftwidrige Tatsachenbehauptung, Mohammed habe eine göttliche Botschaft empfangen, ist der Koran und damit der Islam hinfällig.

[6] https://www.ekd.de/glauben/apostolisches_glaubensbekenntnis.html

[7] https://de.wikipedia.org/wiki/%CA%BFAq%C4%ABda

[8] http://www.fatih-moschee.de/index.php/islam/die-6-glaubensinhalte-des-islam

8 Kommentare
  1. Rainer Ostendorf
    Rainer Ostendorf sagte:

    Respekt habe ich vor jeder Person, denn keiner kann anders, als er ist. Den Glauben an einen allmächtigen Gott respektiere ich aber deswegen noch lange nicht, und schon gar nicht, wenn mir das Wunschdenken der Gläubigen aufgezwungen wird. Ohne geffragt zu werden wurde ich getauft! Eine Frechheit! Als ich mit 16 Jahren aus der Kirche austrat, musste ich hohe Gebühren zahlen! Eine weitere Frechheit!

    Schöne Grüsse aus der Ausstellung „Religionskritik“
    Rainer Ostendorf
    http://www.freidenker-galerie.de/acrylbilder-lustige-zitate-politik-und-religion-2/

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  2. Uwe Lehnert
    Uwe Lehnert sagte:

    Bei vielen Gläubigen wird noch nicht einmal der Zweifel zugelassen, und wenn er sich doch in ihre Gedanken drängt, gilt er als Versuchung des Teufels, der zu widerstehen ist. So ist der Teufelskreis von Einbildung und Bestätigung der Einbildung geschlossen.

    Ich gehe sogar so weit zu behaupten, dass viele Christen den ihnen anerzogenen Glauben so unreflektiert verinnerlicht haben, dass ihnen die Frage überhaupt nicht in den Sinn kommt, ob den Kernaussagen ihres Glaubens nachweislich ein historisches Geschehen zu Grunde liegt. Dieses Glaubenssystem mit seinen den Alltag strukturierenden Regeln und den vorgegebenen Antworten auf die Krisen des Lebens ist für viele ein nicht hinterfragtes System von Glaubenselementen, das sich selbst genügt und daher keinerlei logische, sachliche oder geschichtliche Begründung braucht. Diese gedankliche Konstruktion ist gewissermaßen selbsttragend, sie bedarf keiner Verankerung oder Erklärung, sie ist aufgrund ihrer bloßen Existenz ein sich selbst rechtfertigendes Lebenskonzept. Für mich ist das ein Beispiel für die große Flexibilität unseres Gehirns, das auch mit einer illusionären Weltsicht zurechtkommt, wenn man es denn mit der Anerkennung von Logik und Empirie, somit der intellektuellen Redlichkeit, nicht so genau nimmt. (www.uwelehnert.de)

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  3. Kaplan
    Kaplan sagte:

    „Glaube erscheint mir intellektuell suspekt.“
    Er IST intellektuell suspekt, denn es geht hier um Dinge die außerhalb des Intellektes liegen. Da gibt es nichts meinen Sie? Woher wissen Sie das? Wissenschaftler erzählen, dass der größte Teil der Materie im Universum nicht sichtbar ist. Zweifeln wir jetzt am Universum? Grob zusammengefasst sprechen Sie von Wirklichkeitskonzeptionen und scheinen sich da sehr sicher. Befassen Sie sich mal mit der Quantentheorie. Da wird Ihnen Ihre Sicherheit schon schwinden. Und hierbei handelt es sich um Wissenschaft. Ist das die „ehrliche Methode der Erkenntnisgewinnung“ für die Sie plädieren?

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      • Thomas Höllriegl
        Thomas Höllriegl sagte:

        Ich denke nicht, dass Kaplan einen Glauben hat. Er spricht von Wissenschaft und die ist so ziemlich das Gegenteil dessen, was Glaube bedeutet. Und da Glaube die unbegründbare Annahme ist, und Wahrheit die Übereinstimmung mit der Wirklichkeit ist, schließen sich diese beiden Begriffe gegenseitig aus. Ein Glaube kann nur dann wahr sein, wenn er also mit der Wirklichkeit übereinstimmt.

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  4. Rosa Wessels
    Rosa Wessels sagte:

    „Glaube um zu begreifen und begreife um zu glauben“ sagte Augustinus und in einem hermetischen Werk mit dem Titel „DIE WIEDERGEFUNDENE BOTSCHAFT“ heißt es zum Beispiel. in einem der Verse: „Wie kann man mit der Welt disputieren und die Stimme des Herrn in sich selbst hören oder die Gelegenheit bemerken, die sich bietet?“ XV,53′. Für Glaubens-Skeptiker könnte dieses Werk von Interesse sein. Mehr dazu auf der Webseite hermetikheute.wordpress.com

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